Der Geigenbauer Hans Schatzdorfer

Wer Hans Schatzdorfer begegnete, begegnete einem Menschentypus, den man im Leben selten trifft: dem Genie.
Ein Mensch, der für seine Ideen und seine Ideale lebte und der sich auf seinem kreativen Weg nicht beirren ließ.
Der nach heutigem Sprachgebrauch ohne Businessplan und Marketingbudget oder öffentliche Subventionen Erfolg hatte.
Hans Schatzdorfers Berufung zum Geigenbau zeigte sich schon in jungen Jahren. Er begann mit 10 Jahren das Musizieren auf der Geige unter der Anleitung seines Firmpaten Michael Kirchsteiger. vlg. Kulmann in Piesenham. Von seinem ersten Geld als Lehrbub kaufte er sich um 5 Gulden eine Geige. In seiner Jugend gehörte Schatzdorfer zu den bekannten "Bratlgeigern", die bei den großen Bauernhochzeiten aufspielten und als Entlohnung dafür ein "Bratl" zum Essen bekamen. Von 1920 bis 1938 ließ er seine Geige nicht nur auf dem Tanzboden, sondern auch in der Kirche erklingen. Außerdem pflegte er mit 3 Freunden ein Hausmusik-Quartett, das sich folgend zusammensetzte: Hans Schatzdorfer (Violine ), Josef Haslinger, Seewald in Spitz (Zither). Adolf Bleckenwegner, Müllner in Piesenham (Zither) und Max Hohensinn, Krämer Max Piesenham (Gitarre) Sie spielten Volksweisen, Strauß-Walzer, Märsche, Salonstücke und auch die neuesten Schlagermelodien. (Interessantes authetisches Notenmaterial von Hans Schatzdorfer aus dieser Zeit wurde 2007 vom OMR Dr.Max Zeilinger aus Waldhausen dem "Schatzdorferverein" zurückgegeben.)
Hans Schatzdorfer begann 1923 autodidaktisch zwei Violinen sowie eine Zither zu bauen. Er war damals auf grobe Tischlerwerkzeuge angewiesen und konnte die unterschiedlichen Deckenstärken nur mit Abtasten eines offenen Instrumentes bestimmen. Die Qualität fiel dementsprechend aus. Er nannte sie selbst immer seine "Brettlgeigen".

"klingt ja schon gut"

"jetzt ist die Geige fertig"

Zum gezielten Geigenbau kam er erst 1945. Er hatte den sinnlosen Kriegstod seines einzigen Sohnes Hans zu bewältigen, der mit seinen 19 Jahren am 22. Dezember 1944 von einer feindlichen Kugel tödlich getroffen wurde. Der Schmerz darüber, traf beide Elternteile mitten ins Herz.

...Wieda hats Krieg göbn. An grauslinga Kriag
und an Buabn haben sīüns gnumma,
weilsīn schan noatwendig braucht habn
bluatjung nu zon Rafn und Blüatn.
Schad, ewigs schad drum- er is nimma kemma.-
Mein Buabn haben sīdaschossn.-
Bis i mi langsam dafangt han,
is freili an Eichtl voganga.
Han überīs Geigenmacha gricht,
dass i Troast schöpfn kann aus da Arach....


Seine zweite Tochter Berta studierte nach dem 2. Weltkrieg an der Musikhochschule Mozarteum in Salzburg Violine und Bratsche. Josef Pöschl, ein Mitglied des Mozarteum Orchesters Salzburg hatte das furchtbare Pech, dass ihm nach einem nächtlichen Konzert seine Geige samt Kasten aus einem amerikanischen Jeep rutschte und von einem nachkommenden Auto in unzählige Stücke zerfetzt wurde.
Dieses Puzzle landete in Piesenham und der überglückliche Geiger bedankte sich mit den Worten:

Sehr geehrter Herr Schatzdorfer!
Mit meinem heutigen Schreiben möchte ich Ihnen meinen tiefsten Dank für Ihre geniale und aufopfernde Arbeit
bezüglich der Wiederinstandsetzung meiner "Fritz Schmutzer Geige" aussprechen.
Meine Kollegen vom Mozarteum Orchester, die das Instrument in dem völlig zertrümmerten Zustand gesehen hatten,
sind voll des Lobes über ihre bewundernswerte Leistung. Geigenbauer Lang aus Mittenwald sagte:
"Die Arbeit ist wirklich wunderschön, besser hätte ich es auch nicht machen können."
Auf der Fis und auf der G-Saite war früher ein störender "Wolf", der vor allem bei Gebrauch eines Holzdämpfers
sehr zum Vorschein kam. Und siehe da, auch der ist unter ihren Händen verschwunden. Ihre Geige spricht in allen Lagen tadellos an. Der Lack ist herrlich. Mit Ihrem Frl.Tochter habe ich ja schon ausführlich über meine Freude wegen des Instrumentes gesprochen und sie freut sich natürlich mit mir.
Mit den herzlichsten Grüßen
Ihr dankbarer
Josef Pöschl
Salzburg-Mozarteum-Orchester

Vom bescheidenen Honorar kaufte sich Hans Schatzdorfer beim Musikalienhändler Oskar Maurus in Ried das Standardwerk zum Geigenbau "Die Kunst des Geigenbaues" von Otto Möckl. In der Folge entstanden zwischen 1947 und 1966 achtzehn Violinen, die sich ausnahmslos durch Schönheit und Klangreinheit auszeichnen und als "Meistergeigen" Geltung gefunden haben. Die Geige Nr. 19 blieb unvollendet. Hans Schatzdorfer starb am 24.12.1969. Sie ist im Volkskundehaus Ried ausgestellt. "Eine Geige muss singen, wie die menschliche Stimme" erklärte er seinen Besuchern, die ihn oft und gerne in seinem alten Holzhaus in Großpiesenham Nr.8 aufsuchten. Dazu spielte er ihnen auf einem selbst gebauten Instrument einen zünftigen Ländler auf und stampfte kräftig mit dem Fuß den Takt dazu. Zum Geigenbau benutze er ja grundsätzlich nur die Wohnstube, auch wenn es seiner Frau Maria gar nicht recht war, wenn sich Holz, Werkzeuge und Sägespäne auf dem Stubentisch und Stubenboden häuften, oder der Leim auf dem Küchenherd überkochte und sich auf der stets sauberen Herdplatte einbrannte. Behutsam hängte er die Geige an einen kräftigen Nagel an der Zimmerdecke im hinteren Stubeneck. Dann griff er nach einem rohen Fichtenbrett und skizzierte darauf geschickt mit einer blechernen Schablone die Umrisse einer Geige. Mit schneller Hand pauste er Wölbungslinien mit zehntelmillimetergenauen Tiefenangaben, zur Bestimmung des abzutragenden Holzes, auf beide Seiten. Nur so konnte er anschließend die konvexen und konkaven Wölbungen des Geigenbodens oder der Geigendecke aus dem Brett herausarbeiten. Dazu erzählte er Wissenswertes über die Jahresringe des Holzes und von seiner Suche nach dem perfekten Baumstamm. Die Bauern der Umgebung legten ihm besonders schöne Holzstücke auf die Seite oder ließen ihn selbst in ihren Dachböden stöbern. Da kam er dann jedes Mal mit Spinnweben bedeckt heim. Er nannte dabei den Hattinger Fritz aus Altsommerau, den Hamminger Seppn in der Rödt, den Bauern in der Gschwandt, den Simandlbauern in Noxberg oder den Hohensinn Josef aus Gelling, die ihm gerne und ohne Berechnung die besten Holztrümmer zukommen ließen. Mit unglaublicher Passion und Präzision baute Hans Schatzdorfer ein ganzes Jahr oder mehr an einer einzigen Geige. Oft vergaß er einfach auf das Bettgehen und arbeitete die ganze Nacht bis in die Früh.
Er war ein Perfektionist und jedes Mal, wenn eine neue Geige fertig war, meinte er zufrieden: "Heha, geht's nimma!"
Er leistete es sich nur ausgesuchten Kunden seine Instrumente zu verkaufen. Reich ist er davon ja nicht geworden! Der bescheidene Verkaufspreis von anfänglich 600 Schilling, später 1000 und zuletzt 3000 bis 5000 Schilling deckte allenfalls die Kosten für das aufwändige Lackierungsverfahren, den teuren Leim, die Beizen und die kostspieligen Pinsel. In keiner Weise den ungeheuren Arbeitsaufwand und die Hingabe des Meisters an sein Werk.

Einem Freund verkaufte er eine Geige um eintausend Schilling und schrieb ihm als Quittung auf einen Zettel Papier:


I kriag von dir a blaus Papier,
du kriagst von mir a Geign dafür.
O, haltert dei Papier so lang,
als wia vo meiner Geign da Klang.
"Dös mecht i" !


Noch lange vor der Einführung der Musikschulen war es Hans Schatzdorfer wichtig, Kinder zum Musizieren auf Streichinstrumenten anzuleiten, um ihnen frühes Selbstvertrauen durch Selbstbestätigung erlangen zu lernen. Er machte es sich zur Aufgabe den Nachwuchs bereits im Grundschulalter zu fördern. Er gab selbst Geigenstunden und lieh jungen Menschen kostenlos seine Instrumente, die wohl öfters beschädigt zurückkamen. Die Geige Nr. 11 wurde von der Familie Dipl.Ing.Bauböck, Ried dem"Schatzdorferverein" zurückgegeben und steht als Leihgabe der Musikschule Ried begabten Musikschülern kostenlos zur Verfügung. Hans Schatzdorfer liebte seine Geigen wie seine Kinder und konnte sich immer nur schwer von ihnen trennen. Wichtig war ihm, dass er Freude bereiten konnte. Diese Großzügigkeit war eine Eigenschaft seines wahrhaft liebenswerten Charakters.

Wann i lang nimma bi
soll nu hi und dahi
laut mei dichtadö Seel
a dir furtklinga hell.